Sonntag, 12. Oktober 2008

schwarz-weisse Nachdenkerei

Ach liebe Leute dort draussen. Irgendwie bin ich seit Tagen ein bißchen komisch drauf. Habe mal wieder meine nachdenklichen Tage. Jetzt sitze ich gerade mit meinem Laptop auf meinem Bett, das mir mit dem Moskitonetz wie ein kleines Himmelbett vorkommt, neben mir eine Tasse schönen Tee, aus den Lautsprechern klingt leise "Portishead". Ich sehe auf mein Regal, sehe die vielen schönen Dinge wie Tee, Kaffee, Kekse und Honig, in der Ecke steht ein Kasten Soda und während ich das so betrachte, frage ich mich mal wieder, ob meine alltäglichen "Sorgen" nicht unbedeutend sind. Ich lebe hier mitten in Afrika echt Luxus. 10 m weiter, hinter der Mauer steht 'ne Lehmhütte in der wohl weder ein Regal, noch ein Bett, geschweige denn ein richtiger Boden ist. Und immer wieder ertappe ich mich, daß ich mir über Nichtigkeiten Gedanken mache. Nach wie vor finde ich es manchmal schwierig, das richtige Maß zu haben. Ich darf etwas besitzen. Ich muss mich nicht arm machen. Ich darf ein (für afrikanische Verhältnisse) weiches und bequemes Bett haben. Ich darf mir morgens meine Tasse frischen Kaffee machen und ich darf auch warm duschen wenn ich total verdreckt von der Arbeit komme... -und dennoch.


Dennoch bleibt immer der leise Zweifel. Zweifel, mich nicht wirklich zu investieren, nicht wirklich mal meinen Luxus auf zu geben. Könnte ich nicht mehr geben? Mehr für andere da sein? Und ist es nicht viel wichtiger, mehr auf mein Herz zu achten? Was nützt all der religiöse Kram und das Gerede und Gepredige und Gefaste (manche leben da echt ne Macke, die aber irgendwie keine Frucht bringt...) wenn der Mensch, für den wir ja das hier alles machen, auf der Strecke bleibt? Was nützt es, wenn wir ihm ne schöne Hütte bauen und ihn aber immer anmotzen, wenn er etwas von uns will? Wie kann man hier als besserwissender Weißer rum laufen und die Menschen herum kommandieren. Haben sie das denn nicht schon genug gehabt? Wie kann man denn immer nur meckern und jammern?
Was sind das für "Sorgen", die mich und meinesgleichen bedrücken, verglichen mit den Sorgen der Menschen hier. Mein Leben war ganz bestimmt nicht das normale 08/15 Leben, aber wenn ich mir überlege, daß hier Menschen wirklich kämpfen müssen und viel Leid erlebt haben und dennoch glücklich sind, dann beschämt mich das doch immer wieder.
Ich habe seit ich hier bin (auch vorher schon, aber jetzt nochmal unter einem anderen Blickwinkel) einige Filme über Afrika gesehen, z.B. "Blood Diamonds", "Der ewige Gärtner" (beides schon länger her) oder "Last King of Scotland". Der spielt in Uganda zur Zeit Idi Amins. Oder "Hotel Rwanda", bei dem es um den Beginn des grausamen Völkermordes in Ruanda geht, darum, wie Menschen verzweifelt versuchen, das Richtige zu tun und sich der Ungerechtigkeit entgegen stellen, während der große mächtige Westen weg sieht. Oder auch "Lost Children", eine Dokumentation über ehemalige Kindersoldaten bei der Rebellenarmee in Uganda (Lord's Resistance Army, immer noch aktiv im Norden) und bei dem Versuch der Wiedereingliederung der Kinder in ihre Familien. Und gerade eben habe ich "Tränen der Sonne" gesehen. Da geht es um den Umsturz in Nigeria vor ein paar Jahren und den Einsatz einer amerikanischen Spezialtruppe, um ein paar Westler raus zu holen.
Ich denke an Jerry, unseren Bauarbeiter hier im Volunteers' House, der uns in den letzten Wochen echt viel geholfen hat und daran, daß er eines von 60 Kindern ist, daß sein Vater 9 Frauen hatte, seine Mutter leider aus einer nicht so vermögenden Familie kam und er deshalb Pech hatte, da diese Frau und ihre Kinder dann niemals soviel bekommen werden wie die Kinder der besser gestellten Frau... Nachts stehlen sie ihm die Blumen vor der Hütte und die Schuhe und obwohl sein Leben wahrscheinlich nicht ganz einfach war, ist er ein ganz liebenswerter, fröhlicher, freundlicher, hilfsbereiter, humorvoller junger Mann. Und wieso sind wir wohlbehüteten Weißen nicht so? Warum haben wir soviel Depressive und Kranke? warum sind unsere Psychiatrien so voll? Und wieso schaffen es diese Afrikaner ihre Traumata durch zu stehen und danach immer noch oder wieder fröhliche Menschen zu sein? Wer braucht hier wen und wer kann von wem lernen? Wissen wir wirklich alles besser? (viel zu oft ist das die Haltung in den weißen Menschen..!)
Und da merke ich doch, wie auch ich vorne und hinten immer wieder am Ziel vorbei schieße und ich wünsche mir von Herzen ein weites offenes, geduldiges, sanftmütiges und fröhliches Herz. Denn ich will mich nicht in der Liste der mißbrauchenden und verachtenden Weißen wiederfinden - und die Gefahr, sich dort wieder zu finden ist hier in Afrika groß -man ist hier schnell jemand besonderes, einfach nur aufgrund der Hautfarbe und das ist schon traurig genug!
Und nur, um das klar zu stellen: wenn ich von "den Weißen" rede, dann bezieht sich das nicht zwangsläufig auf dieses Projekt, sondern einfach auf meine Erfahrung mit Weißen hier Uganda.

Keine Kommentare: